Dichtung und Wahrheit zum Krieg in Afghanistan
2018-02-12
(PDF wird zurzeit überarbeitet)
Von den frühen 70-ern bis zu den späten 80-ern war Afghanistan das Kernstück der Außenpolitik von Moskau, Washington und Peking. Gleich einem riesigen Schachbrett nutzten sie das Land und etablierten darin drei strategische Dreiecke. Jeder versuchte die Rolle des Läufers zu spielen und die drei Wirtschafts-, Militär- und Politik-Giganten finanzierten und mobilisierten deren Stellvertreter in Afghanistan.
Der russische KGB unterstützte dabei die afghanischen Kommunisten, das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) der Chinesen hielten die Maoisten im Land am Leben und die amerikanische CIA trat als Sponsor der islamischen Fundamentalisten auf, die sogenannten Freiheitskämpfer unter Führung von Osama bin Laden, dem Kopf hinter den Anschlägen von 11. September. Nach dem Kollaps der Sowjetunion intensivierten Amerika, Russland und China ihre Auslandspolitik und fokussierten dabei auf die Regionen Asien/Pazifik und Mittleren Osten und verließen Afghanistan – wo daraufhin ein Bürgerkrieg entbrannte. Damit hat Afghanistan wieder die Aufmerksamkeit der drei Militärgiganten erlangt.
Deswegen möchte ich die Szenarien der einzelnen Länder in Afghanistan beleuchten.
Das russische Szenario
Auf der Basis der Datenanalyse haben die russischen Sicherheitskräfte – direkt oder indirekt – radikale Islamisten in Russland dazu bewogen und dabei unterstützt, das Land zu verlassen. Saadu Sharapudinov beispielsweise erzählte Reuters, dass ihm ein russischer Geheimagent im Dezember 2012 ein unerwartetes Angebot unterbreitet hat: Wenn er Russland verlasse, würden die Behörden nicht nur von einer Verhaftung absehen, sondern ihn dabei gar unterstützen. Einige Monate später erhielt er einen neuen Pass unter einem anderen Namen, sowie ein Einfach-Flugticket nach Istanbul. Kurz nach seiner Ankunft in der Türkei passierte er die Grenze nach Syrien und trat der Islamistengruppe Sabri Jamaat bei, welche später auf die Gefolgschaft einer radikalen sunnitischen Gruppe schwor – dem Islamischen Staat.
Reuters hat fünf weitere russische Islamisten identifiziert, welche das Land mit der direkten oder indirekten Hilfe des Staates Richtung Syrien verlassen haben – ein System, das bis Ende 2014 lief. Der Weggang einer großen Anzahl solcher Radikalen brachte mehr Ruhe beispielsweise in der Teilrepublik Dagestan.
Kommt hinzu, dass die russische Führung Kommunikationskanäle zu den wichtigen Terroristengruppen im Mittleren Osten, Zentralasien und dem Islamischen Staat unterhält. Diese werden höchstwahrscheinlich vom Kreml dazu benutzt, die Bestrebungen in Richtung der innen- und außenpolitischen Ziele zu koordinieren. Über diese Wege sucht Moskau die radikalen Elemente in regionale Konfliktzonen abzuschieben und somit das von den Muslimen ausgehende Risiko zu minimieren.
Nachdem Russland seine Ziele im Mittleren Osten erreicht hatte, wurden diese Radikalen eine gewisse Zeit nach Afghanistan abgeschoben. Die meisten russischen und zentralasiatischen Radikalen, die unter der Flagge des Islamischen Staats gekämpft haben, tauchten in Afghanistan wieder auf – sehr wahrscheinlich geschah dies mit Hilfe der russischen Sicherheitskräfte. Damit versuchte Russland zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: für Russland ist das in Erscheinung treten des Islamischen Staats in Afghanistan der Vorwand, um den eigene Einfluss in den zentralasiatischen Staaten zu erhöhen. Die Geschichte der Russen lautet: Wenn wir unsere Truppen nicht in Zentralasien stationieren und damit Afghanistan eingrenzen, würde der Islamische Staat eintreten und die gesamte Region destabilisieren. Sobald sie ihre Präsenz verstärkt haben, würden die Russen die Oberhand in der gesamten Region, inklusive Afghanistan, haben.
Tatsächlich möchten die Russen die Transportwege des Weißen Golds (Heroin) nach Zentralasien kontrollieren. Denn etwa die Hälfte des Weißen Golds findet den Weg über diese Länder (die von Russland kontrolliert werden) nach Europa und nach Russland. Die dem Land durch Amerika und Europa auferlegten Sanktionen und der Preisverfall beim Rohöl haben der Wirtschaft Russlands empfindlich geschadet. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland allein mit den Gewinnen aus dem Verkauf von Rohöl und Gas seine Ziele erreichen kann. Demzufolge muss Russland die vollständige Kontrolle über das für Europa bestimmte Heroin erlangen. Das in Afghanistan produzierte Heroin hat einen Wert von 60 bis 70 Milliarden Dollar pro Jahr und ein Teil davon fließt die Taschen Russlands, um die Kriege im Ausland zu finanzieren.
Dann stellt sich Russland gegen die andauernde Präsenz der Vereinigten Staaten in Afghanistan – vorbei die Zeiten, dass Russland die Amerikaner gerne in Afghanistan gesehen haben. Russland hat seine Position gegen die andauernde Militärpräsenz der Amerikaner in Afghanistan mehrfach geäußert, beispielsweise über den Sekretär des Russian Security Council Nikolaiy Patrushev: Russland nutzt jede Möglichkeit, sich der USA zu entledigen.
Das amerikanische Szenario
Es ist ein anerkannter Fakt, dass der amerikanische Einsatz in Afghanistan nach dessen offiziellem Beginn am 7. Oktober 2011 zu einem unbefristeten Krieg gewachsen ist. Dessen Endphase wird allein durch das Erreichen der amerikanischen Ziele der Vorherrschaft in der Region bestimmt. Mit anderen Worten sieht die amerikanische Strategie einen unbefristeten Krieg in Afghanistan vor, unabhängig davon welcher Präsident gerade an der Macht ist.
Entsprechend des Bilateral Security Agreements (BSA) unterhalten die Amerikaner neun Militärbasen an strategischen Orten, verteilt über ganz Afghanistan, unter anderem an den Grenzen zum Iran, Pakistan und den zentralasiatischen Republiken. Der Luftraum über Afghanistan wird durch die USA kontrolliert, für alle praktischen und strategischen Belange – Letzteres erlaubt eine geopolitische Führerschaft und Einflussnahme über Afghanistan hinaus. Diese Infrastruktur erlaubt es den USA, bis zu 100'000 Truppen in zwei bis vier Wochen bereitzustellen.
Auf dem großen Schachbrett Afghanistan verbleibt den Vereinigten Staaten allein die militärische Macht, die sie zurzeit mit einer Kombination von Terroristen-Stellvertretern, Drohnen-Angriffen und Einsätzen von Spezialeinheiten betreiben. Sie haben sich in eine geopolitische Region, umgeben von feindlichen Mächten wie Russland, China, Iran und Pakistan, eingeschlossen.
Während der letzten Monate erstarkte die Präsenz der Terroristen in Afghanistan und die Bedrohung gegen die amerikanischen Feinde wie Russland, China und Iran – weshalb sich die USA noch mehr berechtigt sieht, militärische Operationen über die afghanischen Grenzen hinaus zu planen. Die USA spielen die Rolle der destabilisierenden Macht in der Region mit dem Ziel die (Welt-) Vorherrschaft zu erlangen. Die Strategie stützt auf die sogenannte Wolfowitz Doktrin ab, welche das Entstehen regionaler und globaler Mächte, die die amerikanische Vorherrschaft gefährden könnten, unterbinden will.
Indes, die amerikanischen Versuche die Vorherrschaft in Afghanistan und darüber hinaus zu etablieren, werden durch die strategische De-facto-Allianz von Russland, China, Iran und Pakistan herausgefordert. Mit anderen Worten: Die Koalition der USA mit der Nato erhält starke Gegner, drei davon Nuklearmächte, welche die hegemonischen Ambitionen der Amerikaner in dieser Region eindämmen. China und Russland stehen zuvorderst, um diese neue geopolitische Realität zu gestalten. Zuerst einmal sieht es so aus, dass China lukrative Vereinbarungen getroffen hat, zum Nachteil der Nato-Truppen.
Doch die Abbauarbeiten durch die chinesischen Arbeiter in der Mes Aynak-Kupfermiene, die unter dem Schutz der 2'000 chinesischen Truppen stattfinden, treffen mit dem plötzlichen Auftauchen von bewaffneten Gruppierungen zusammen – die gezielt die chinesischen Arbeiter angreifen. Deren Ziel ist es, die Abbauarbeiten zu stoppen und die Arbeiter zur Heimreise zu bewegen.
Außerdem wurden zwei Gouverneure der Provinz Logar – Abdullah Wardak und Arsala Jamal – ermordet, Wardak 2008 und Jamal 2013. Beide förderten die Abbauarbeiten in der Mes Aynak-Miene. Während sich die Taliban zur Ermordung von Abdullah Wardak bekannten, übernahm niemand die Verantwortung für die Ermordung von Arsala Jamal. Seit nunmehr 10 Jahren steht das Projekt weitgehend still.
Ähnlich ergeht es den Projekten zur Ölgewinnung in den Provinzen Sar-i-Pul und Faryab. An beiden Orten wurden Chinesen und die Abbauarbeiten angegriffen – auch mit dem Ziel, diese Provinzen zu destabilisieren. Im Februar 2017 wurden sechs Mitarbeiter des IKRK in der Provinz Jawzjan getötet – und auch hier übernahm niemand die Verantwortung.
Dann können verstärkt Aktivitäten beobachtet werden, welche die Destabilisierung der autonomen chinesischen Provinz Xinjiang und deren Abspaltung zum Ziel haben. Diese Aktivitäten gehen von der afghanischen Provinz Badakhshan aus – sie ist Teil einer der Hauptrouten der alten Seidenstraße, die durch den historisch wichtigen Wakhan Korridor führt, und grenzt damit im Norden und Osten an Tadschikistan, sowie im Osten an China und Pakistan. Die separatistische Ost-Turkestan Islamische Bewegung (East Turkistan Islamic Movement: ETIM) soll hauptsächlich von Badakhshan aus operieren. Die Provinz Xinjiang ist eine Import-Region mit Grenzen zu acht Ländern: Mongolei, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Afghanistan, Pakistan und Indien.
Das chinesische Szenario
China trifft Vorkehrungen mittels Vereinbarungen auf bilateralen, trilateralen und quadrilateralen Ebenen, um seine Rolle in Afghanistan in der Wirtschaft, Sicherheit und Politik auszuweiten. So wurde im August 2016 der Quadrilateral Cooperation and Coordination Mechanism in Counter Terrorism („Mechanismus“ zum Kampf gegen den Terrorismus) gegründet, an der die Militärs von Afghanistan, China, Pakistan und Tadschikistan beteiligt sind. Dieser wurde symbolträchtig in Urumqi, der Haupstadt der Provinz Xinjiang, beschlossen. Schon fast als dramatisch zu bezeichnende Änderung des Schicksals Afghanistans ist die Sichtung chinesischen Militärs anfangs 2017, tief in afghanischem Territorium. Als „Anti-Terrorismus-Patrouille“ bezeichnet markiert das chinesische Militär Präsenz in Afghanistan und signalisiert die Bereitschaft Chinas für ein militärisches Engagement, sollte es die Situation erfordern. Mit dem Ausweiten der Sicherheitseinsätze der Chinesen in Afghanistan begannen auch die Lieferungen von Militärhilfen an die afghanische Armee.
Im Dezember 2017 wurde in Peking während des trilateralen Dialogs zwischen China, Pakistan und Afghanistan die Kooperation gegen den Terrorismus in der Provinz Xinjiang beschlossen, mit Fokus gegen die ETIM.
Daneben hat China in proaktiver Weise die politische Einflussnahme in Afghanistan verstärkt, zusammen mit den Interessen in Wirtschaft und Handel. Danach folgte der Schritt sich als Mediator und Broker der Interessen Afghanistans einzusetzen. Tatsächlich ist schon die erste Runde des trilateralen Dialogs der Außenminister von China, Pakistan und Afghanistan im Dezember 2017 ein klares Indiz für die Veränderungen der geopolitischen Landschaft der Region. Diese Bemühungen gehen einher mit den chinesischen Projekten in Afghanistan, Pakistan und darüber hinaus.
China ist neben den USA; Afghanistan und Pakistan eine der Parteien in der Quadrilateral Coordination Group (QCG), welche die Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban moderiert. China konsolidiert seine Anstrengungen, um Amerika auszuschließen und den Weg für seine Rolle in diesem Land zu ebnen.
Schlussfolgerung
Von den drei Wirtschafts-, Militär- und Politik-Giganten versucht jeder die nationalen Interessen in und durch Afghanistan zu wahren und auszubauen.
Jeder versucht auf dem riesigen Schachbrett in die Rolle des Läufers zu schlüpfen und den anderen zu blockieren. Doch am Ende wird wieder einmal die afghanische Bevölkerung den Preis und den Blutzoll dafür zahlen müssen. Es zeugt von unendlicher Arroganz und absoluter Geringschätzung dem afghanischen Volk gegenüber, wie die Amerikaner, Russen und Chinesen die nationalen Interessen über das Leben der Menschen in Afghanistan setzen und gleich mehrere Menschenrechte wissentlich verletzen. Es wäre höchste Zeit, dass gerade die europäischen Verfechter der Menschenrechte Farbe bekennen. Doch angesichts der zurzeit intensiv betriebenen Nabelschau – nicht nur in Deutschland – wird dies wohl Wunschdenken bleiben.