Counter Narco-Terrorism Alliance
 

Ist Russland ein Sicherheitsrisiko für den Westen – oder nur ein Papiertiger?

2018-09-15

(PDF wird zurzeit überarbeitet)


Während der Debatten zu den Präsidentenwahlen 2008 in Amerika ordneten die politische Elite und der sogenannte Deep State Russland als die wichtigste geopolitische Gefahr ein, für die nationale Sicherheit des Westens allgemein und den USA im Besonderen.

Während des gesamten Wahlkampfes und den Fernsehdiskussionen zwischen zahlreichen Präsidentschaftskandidaten war „Russland als geopolitische Gefahr“ das zentrale Thema. Mitt Romney, einer der Spitzenreiter der US-Wahlen, nannte mehr als ein Dutzend Mal Russland den geopolitischen Feind Nummer Eins der USA. Während der gesamten Regierungszeit von Barack Obama wurde Russland als geopolitischer Gegenpol zur Außenpolitik der USA betrachtet. Hillary Clinton, die vormalige Außenministerin und demokratisches Leittier, zeigte sich gerne russlandphobisch. Nach der Annexion der Krim führten die USA umfangreiche Sanktionen ein, mit denen Russland wiederholt abgestraft wurde.

In einer kürzlich debattierten Maßnahme nahm der US Senat die staatlich kontrollierten russischen Banken ins Visier und schlug vor, deren Zugang zum Dollar zu blockieren – ein Schritt, der die russische Wirtschaft empfindlich treffen würde. Als Antwort ließ der russische Ministerpräsident verlauten, er werde „diesem Krieg mit allen wirtschaftlichen, politischen und sofern notwendig auch anderen Mitteln entgegen treten“. Das Auferlegen von Dollar-Sanktionen sieht er als das Überteten einer Roten Linie und Bedrohung der nationalen Sicherheit seines Landes an. Dennoch hielt er sich bedeckt, wie die Gegenmaßnahmen des Kremls aussehen könnten. Es erscheint sinnvoll sich die Stärken und Schwächen von Russland aufzudecken, ob das Land sich in der Lage befindet eine Gefahr für den Westen und besonders für USA darzustellen. Folgend zeige ich die Analyse politischer Beobachter und die Einschätzungen der Counter Narco Terrorismus Allianz Deutschland.

Maßnahmen, die der Kreml ergreifen könnte

Als Erstes könnte Russland im Cyberspace antworten. Microsoft berichtete erst kürzlich von mit dem russischen Militär in Verbindung stehenden Hackern, welche mit sogenannten „Spear-fishing“ Attacken (das Vorgehen entspricht dem Phishing, fokussiert aber auf ein definiertes Ziel) gegen drei Kandidaten der US-Wahlen in diesem Jahr vorgehen. Dann stellte Dan Coats, Director of National Intelligence, fest, dass Moskau sich weiterhin dazu bekennt, die amerikanische Demokratie unterminieren zu wollen: „Das Alarmglocken sind an. Und deshalb glaube ich, wir befinden uns an einem kritischen Punkt.“

Russland hat sich nachweislich nicht in das aktuelle Wahlsystem auf Staatenebene gehackt, wohl aber in die Wahlinfrastruktur der Wahlen 2016. Und Sicherheitsexperten für die Wahlen warnen, dass Russland die Möglichkeiten hat den Ausgang der Wahlen 2018 maßgeblich zu beeinflussen. In Betracht der Antipathie zwischen Russland und den Demokraten, sobald die Kontrolle im US-Senat auf dem Spiel steht ist es einfach sich vorzustellen, was geschehen könnte: umfassende Verwirrungen, zahlreiche Prozesse und Anfeindungen unter den Parteien, welche die Nachzählungen Bush/Gore in Florida zur Kleinigkeit degradieren würden.

Der Kreml könnte auch mit nuklearem Säbelrasseln antworten. Während seiner Ansprache zur Nationalversammlung im März gab Wladimir Putin bekannt, dass mehrere neue Lenkwaffen mit Nuklearsprengköpfen entwickelt werden – gleichzeitig spielte er ein den Nuklearangriff auf Florida zeigendes Video ab. Dem Kreml würde es leicht fallen, die Spannungen mittels Nuklear-Rhetorik zu steigern. Konkret könnte Russland formell den Rückzug aus dem Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF Treaty) bekannt geben und/oder die Ausweitung des Neuen START Abkommens ablehnen. Diese Schritte könnten den Startpunkt einer neuerlichen nuklearen Aufrüstung bedeuten.

Moskau könnte auch den Krieg gegen die Ukraine eskalieren lassen. So könnte Moskau beispielsweise zusätzliche Truppen und Kriegsmaterial in die ostukrainische Donbas-Region entsenden und so den militärischen Druck auf Kiew erhöhen. Auch könnte Russland die volle Kontrolle über das Asowsche Meer versuchen zu erlangen. Berichten zufolge hat Moskau vierzig Marineschiffe in das Asowsche Meer entsandt und die russischen Streitkräfte halten ukrainische sowie internationale Schiffe an oder schikanieren sie auf dem Weg zu den ukrainischen Häfen. Als Antwort hat die Ukraine ihre Marine-Patrouillen verstärkt. Es ist durchaus vorstellbar, dass Russland eine bewaffnete Konfrontation im Asowschen Meer provozieren könnte, die als Vorwand für eine signifikante militärische Eskalation der Russen in der Region her halten könnte. Ein Vorgehen wie aus dem Drehbuch von 2008 für den Krieg in Georgien.

Russland könnte ebenso die militärischen Spannungen irgendwo in Europa schüren. Dafür wäre beispielsweise das Dislozieren der mit Nuklearsprengköpfen bestückten Lenkwaffen nach Kaliningrad – der russischen Enklave zwischen Polen und Litauen – geeignet. Auch könnte Russland Kaliningrad als Basis für große Militärübungen und der Simulation eines Angriffs auf die baltischen NATO-Mitglieder nutzen, und dabei die strategisch wichtige schwedische Insel Gothland im Baltischen Meer besetzen.

Doch Wladimir Putin muss nicht zwingend auf sein Militär vertrauen, um die amerikanischen Interessen zu stören. Er könnte offen die wirtschaftliche und politische Unterstützung Nordkoreas erhöhen, wodurch die Möglichkeiten Washingtons das nordkoreanische Atomprogramm einzudämmen geschwächt würden. In Anbetracht dessen, dass Nordkorea es geschafft hat die USA mittels Interkontinentalraketen erreichen zu können, würde dies ein signifikanter Rückschlag für die amerikanischen Interessen bedeuten.

Wladimir Putin könnte dem Abkommen von Dayton – dem großen diplomatischen Erfolg der USA, mit dem der Bosnienkrieg 1995 beendet werden konnte – den Todesstoß verpassen, indem er die Unabhängigkeitsbemühungen der Republika Srpska (in Deutschland fälschlicherweise als Serbische Republik bekannt) offen unterstützen und damit auch die Chancen Belgrads ein Mitglied der EU zu werden torpedieren. Dies würde Wladimir einen Dreierzug ermöglichen: 1) Etablieren der Republika Srpska als Mandanten Russlands im Herzen des Balkans; 2) Erneutes Anfachen des Bürgerkriegs in Bosnien; 3) Die serbischen Politiker dazu nötigen die Republika Srpska zu unterstützen und somit deren Chancen für den Eintritt in die Europäische Union zu verringern. Solche Drohungen seitens Dmitri Medwedew wären eher als Wutgeschrei zu interpretieren, denn Moskau könnte auf die Dollarsanktionen auch mit dem Engerschnallen des Gürtels reagieren sowie die wirtschaftlichen und politischen Stürme aussitzen.

Müssen sich die USA – und der Westen – über ein erstarktes Russland Sorgen machen? Tatsächlich ist die Macht Russlands brüchig. Das Eingreifen in die westliche Politik, die Invasion der Ukraine und die Unterstützung von Syriens Machthaber Baschar al-Assad lenken davon ab, dass Russland ganz grundsätzliche soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen hat. Die alternde russische Gesellschaft und die schwache Wirtschaft stehen im Kontrast zu den Militärausgaben und den Ansprüchen auf dem globalen Parkett. Tatsächlich werden die innerrussischen Themen Wladimir Putins Auslandsabenteuer und militärische Aktionen einschränken. Vereinfacht gesagt besitzt Russland nicht die Mittel, den hohen Ansprüchen der Macht gerecht zu werden. Dabei geht es um fünf Faktoren.

1) Die russische Wirtschaft schwächelt

Zuerst einmal ist die US-Wirtschaft zehn Mal so gross, wie die russische. Selbst als die Öl- und Gaspreise sich auf ihrem Allzeithoch befanden, konnte Russland nicht mit der Wirtschaftsmacht der USA mithalten. Doch diese Tage sind längst vorbei. Während der letzten Dekade trugen die Exporte der Kohlenwasserstoffe ungefähr zu 50 Prozent zum Staatseinkommen bei. Mit Ölpreisen von über $100 pro Barrel während der letzten Jahre erlebte Russland einen Wirtschaftsboom. Das Bruttoinlandsprodukt stiegt um das Neunfache – einer der Gründe für die starke Unterstützung von Wladimir Putin.

Doch der Kollaps der globalen Energiepreise traf Russland hart, eliminierte viele der wirtschaftlichen Entwicklungen der letzte Jahre und führte zu einer Rezession. Kommt hinzu, dass sich diese Situation nicht sehr bald ändern wird und das Wirtschaftswachstum 2018-2019 wird minimal sein. Um sich für die Zeit nach Öl und Gas zu wappnen hat der Kreml nach 2000 aus den Überschüssen eine Rücklage für „schlechte Tage“ gebildet. Mit den fallenden Ölpreisen hatte sich die Regierung aber mehrfach daran bedient. Seit 2014 hat sich Russlands Notgroschen von 87 Milliarden Dollar auf nur noch 16.18 Milliarden Dollar verringert. Das Land besitzt einen weiteren Staatsfonds von 73 Milliarden Dollar, aber das meiste Geld ist bereits zugeordnet.

Die wirtschaftliche Abwärtsbewegung zeigt bereits signifikante Konsequenzen. Die Weltbank hält fest, dass 21.4 Millionen Russen (14.6% der Bevölkerung) unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben und die Anzahl jener Russen, welche weniger als 10 Dollar pro Tag verdienen, ist um 8% gestiegen. Eine erst kürzlich durchgeführte Erhebung zeigt zudem auf, dass 41% der Russen Schwierigkeiten bekunden, genug Geld für Essen und Kleider beiseite zu legen. Das Wirtschaftsministerium sagt voraus, dass sich der Lebensstandard bis ins Jahr 2035 kaum ändern wird.

2) Russland sieht sich vor einer demographischen Krise

Die Russen kriegen zu wenige Kinder. Die Geburtsrate liegt bei 1.7 Geburten pro Frau, was deutlich unterhalb der Anzahl von 2.1 Geburten liegt, die für eine stabile Bevölkerungsentwicklung nötig wären. Kommt hinzu, dass die russischen Männer viel zu früh sterben. Die Lebenserwartung der männlichen Bevölkerung liegt bei 64 Jahren – niedriger, als in Nordkorea und volle 15 Jahre niedriger als in Deutschland, Schweden und Italien. Die Gründe liegen bei einer ungewöhnlichen hohen Rate an Alkoholikern, Rauchern, unbehandeltem Krebs, Selbstmord, Tuberkulose, AIDS und Gewalt.

2012 ordnete die WHO 30 Prozent der Todesfälle in Russland dem Alkohol zu. 12 Millionen Russen nehmen regelmässig Alkohol-Ersatzstoffe – wie medizinisches Ethanol, Fensterreiniger und Parfüm – zu sich. Dann leidet Russland unter einer AIDS-Epidemie und in der drittgrössten Stadt des Landes, Jekaterinburg, wurde bei einem von 50 Einwohnen der HI-Virus diagnostiziert. Auch die Selbstmordrate liegt mit 11.3 pro 100'000 Menschen deutlich höher, als der Durchschnitt der OECD von 4.1 (zum Vergleich: in England beträgt die Rate 0.2).

Es wird erwartet, dass die russische Bevölkerung bis 2050 um 16% – oder 23 Millionen – schrumpft, was zu einer Reduktion der Arbeitskraft von 25% führt. Immer weniger Arbeiter füllen das russische Defizit in der Rentenkasse, das mit 54 Milliarden Dollar die Regierung an den Rand des Konkurses drückt.

3) Russland kann seine Krisenregionen nicht mehr freikaufen  

Russland zahlt pro Jahr gegen 10 Milliarden Dollar Subventionen in problembehaftete Regionen wie Tschetschenien und die Krim. Versiegt dieser Geldfluss, werden sich Spannungen zwischen Moskau und diesen Regionen aufbauen, die den Konflikt im Nordkaukasus wieder aufflammen lassen könnten.

Hinzu kommt, dass die russische Wirtschaft stark regional ausgeprägt ist. Nur gerade 14 der 83 Regionen liefern mehr in das Staatsbudget ab, als sie an Subventionen erhalten. Der andauernde Geldtransfer in entfernte und nicht-russische Regionen könnte der Beliebtheit schaden, sowie die Möglichkeiten der Regierung die Separatisten in der Ukraine, Georgien und Moldawien zu unterstützen.   

4) Russland wird die Militärausgaben kürzen müssen

Der Stand der russischen Wirtschaft definiert mehr oder weniger die Militärausgaben. 2017 gab Russland 30 Prozent seines Budgets für Militär und Sicherheit aus und nur gerade 2.3 Prozent gingen in die Gesundheitsvorsorge. Die wirtschaftliche Stagnation brachte mit sich, dass Russland 2016 das erste Mal seit den Neunzigern weniger für die Verteidigung ausgeben hat. Vorhersagen gehen davon aus, dass Russland im Jahr 2020 nur noch 41 Milliarden Dollar in das Militär stecken wird. Das ist weniger, als Frankreich ausgibt (Frankreich hat dabei nur 46% so viele Einwohner, wie Russland).

Die schwindelerregenden Kosten in Syrien und der Ukraine könnten Russland dazu bringen, sich dort zurück zu ziehen oder aber Bankrott zu gehen. Tatsächlich gibt Russland jährlich 1.8 Milliarden Dollar allein für militärische Auftragnehmer aus, wie eine russische Zeitung aufdeckte. Die 41 Milliarden Dollar Militärausgaben Russlands stehen in keinem Verhältnis zum Militärbudget der NATO von 892 Milliarden Dollar (2015). Russland kann die Zahlen dieser betuchten und vereinigten Allianz nicht erreichen, geschweige denn überbieten. Im Moment kann Wladimir Putin bestimmt auftreten, da das russische Budget Waffen über die Nahrung stellt. Tatsächlich hat Putins Regime wirtschaftlichen Erfolg und Sozialausgaben gegen die Militärausgaben eingetauscht. Diese Rechnung wird auf Dauer nicht auf gehen.

Ein Blick in die Gesundheitsvorsorge öffnet die Augen. Ungefähr 85'000 ländliche Kommunen verfügen über keinerlei medizinische Infrastruktur. Russland wird in der kürzlich herausgegebenen Untersuchung zur Effizienz in der Gesundheitsvorsorge auf dem letzten Platz der entwickelten Länder geführt – hinter 54 anderen entwickelten Ländern. Doch die Regierung plant die Gesundheitskosten nächstes Jahr nochmals um 33% zu kürzen, was die Ausgaben auf 5.8 Milliarden Dollar senken wird. Das Gesundheitsministerium wird somit weniger als 2% der für 2017 bis 2025 geforderten Gelder erhalten. Und die Löhne für die Ärzte in den ärmsten Regionen liegt bei gerade einmal 250 Dollar – pro Monat, und der Lohn wird weiter sinken.

5) Die chronischen sozialen Probleme werden die russische Politik auf den Kopf stellen 

Die Russen sind bekannt für ihr stoisches Verhalten, aber sie sind keine Automaten. Die Popularität von Wladimir Putin basiert nicht nur auf der Manipulation der Medien und dem überzogenen Hurrapatriotismus, sondern auf realer wirtschaftlicher Entwicklung. Der Politikwissenschaftler Daniel Treisman hat denn auch aufgezeigt, dass selbst in autoritären Staaten die Popularität mit der Wirtschaftsentwicklung gekoppelt ist.

Arbeiterproteste sind bereits da und dort zu erkennen. Und in einer kürzlich durchgeführten Untersuchung gaben 32 Prozent der befragten Russen an, dass sie mitmarschieren würden, sollte eine Demonstration in ihrem Ort stattfinden. Das ist die höchste Rate, seit Wladimir Putin 1999 das erste Mal die Macht an sich nahm.

Russland ist keine stalinistische Diktatur, sondern eine „gelenkte Demokratie“. Ganz egal wie mächtig und gefährlich Russland erscheinen mag, die aktuelle Situation wird nicht mehr lange halten. Die Stabilität Russlands – und Putins Regime – stützt sich auf ein wackliges Fundament und die Risse sind sehr deutlich zu erkennen.